Die meisten der alten Obstsorten sind reine Zufallssämlinge. Diesen ursprünglichsten Weg wollen wir hier gehen, denn Zufallssämlinge sind oft sehr robust, widerstandsfähig und in der Lage sich neuen Bedingungen gut anzupassen. Im Unterschied zu den Zufallssämlingen werden die meisten unserer Tafeläpfel- und Birnensorten vermehrt, indem ein Zweig der gewünschten Sorte auf eine Unterlage – oft eine Quitte – okuliert wird. Sie können nicht direkt aus den Kernen einer reifen Birne oder eines Apfels gezogen werden, weil Kernobst nicht ‚sortenfest‘ ist.
Für unser Projekt verwenden wir frei abgeblühte und somit wild bestäubte Birnen. Angrenzend an eine Waldfläche werden die Kerne der Birnen nach dem Pressen flächig ausgesät und oberflächig eingearbeitet. Aus den Samen wachsen im folgenden Frühjahr tausende Bäume, jeder für sich ein Individuum mit einer Vielfalt an Potential. Und einer dieser Sämlinge könnte der Jackpot sein…. Rund 15 Jahre ist der Beobachtungszeitraum, um Sämlinge zu ziehen und die besten in einem aufwendigen Verfahren zu selektieren. Danach überlassen wir am Standort der Natur einen Obstwald mit hohem ökologischem Mehrwert und gleichzeitig entsteht vielleicht über die Vermehrung der nächsten Generation eine ganz besondere neue und an veränderte Klimabedingungen angepasste Sorte.
Apfel- und Birnbäume stammen ursprünglich aus waldartigen Landschaften. Über Jahrtausende haben Menschen aus bitteren, sauren Wildäpfeln süße Tafeläpfel mit hohen Ertragsleistungen ausgewählt und gezüchtet. Kombiniert mit dem Anbau auf kleinen Buschformen wie der Quitte, wurden aus kleinen, herben Wildbirnen große feinschmelzende Tafelbirnen für den Frischverzehr.
Die kleine Eiszeit in Europa führte durch die klimatische Abkühlung bis zu Beginn des 18. Jahrhunderts zu einem Rückgang des Anbaus von Weintrauben in vielen Bereichen Württembergs. Man ging daran Alternativen zum Traubenwein zu suchen. Auf Geheiß des Hauses Württemberg wurde die Solitude als Baumschule angelegt. Mit dem Aufbau betraut wurde, Johann Caspar Schiller, der Vater des Dichters Friedrich Schiller. Seine Erfahrungen hielt Schiller Senior in einem Buch fest: „Die Baumzucht im Großen, … im Kleinen beurtheilt“.
Zu dieser Zeit rückten außerhalb von Gärten und Klostermauern wilde Zufallssämlinge von Apfel und Birne immer mehr ins Zentrum des Interesses. Und damit kommen nun unsere herben Wildbirnen aus dem Wald ins Spiel: Menschen nutzten was sie in der Natur – im Wald – vorfanden. Früchte, die sich neben Süße, durch feine Säure, Bitternoten oder ausgeprägte Gerbstoffgehalte auszeichneten und somit bestens zur Herstellung von Obstweinen und später auch Obstschaumweinen geeignet waren.
Dazu hatten die Obstschaumweine weniger Alkohol als die Traubenwein und waren anregender als Bier und sicherer als Wasser. Obstweine waren gesünder als die Alternativen und damit war es möglich, „die Volksgesundheit zu verbessern und nicht nur die Arbeitskraft zu erhalten.“
Wurden anfangs die Früchte einzelner Bäume noch gesammelt und verarbeitet, so wurde später daraus die kultivierte Wildform „WiesenObst“. Aus langer Erfahrung ergab sich, dass einzelne Bäume Früchte von besonderer Güte lieferten. Oft wurden sie aufgrund der Verwertung mit einem entsprechenden Sortennamen benannt. So wurde von Pfarrer Christ im „Handbuch über die Obstbaumzucht und Obstlehre‘‘ 1797 mit dem Namen ‚Champagner Weinbirne‘ zur Sorte ernannt.
In waldartigen Landschaften wuchsen ganz natürlich aus dem Samen starke neue junge Bäumchen – sogenannte Sämlinge. Diese haben das natürliche Wuchsverhalten eines Waldbaumes, das heißt sie werden schnell groß, denn sie müssen sich gegen die Konkurrenz durchsetzen. Deshalb verwenden sie in den ersten Jahrzehnten alle Energie auf das eigene Wachstum.
Die gut gewachsenen kleinen Wildbäume wurden von den Baumschulen ausgegraben und mit „Reisern“ der neuen Wunschsorte veredelt. Dazu wurden einjährige Triebe dieser autochthonen, also von Menschen nicht züchterisch bearbeiteten, zufällig entstandenen Mutterbäume geschnitten und den kleinen Wildbäumen aufgepfropft.
Zunächst wurde Ackerbau unter den Bäumchen betrieben, allerdings wurde mit zunehmendem Wuchs die Unternutzung auf Wiese umgestellt. So etablierten sich diese „veredelten“ Wildbäume und WiesenObst wurde landschaftsprägend. Doch heute sind die meisten Baumriesen überaltert und wenn wir nicht nachpflanzen, werden manche Sorten der einstigen Wildformen in Zukunft nicht mehr existieren.
„Jede autochthone Birnensorte zeigt ihren wilden eigentümlichen Wuchs.“
Diesen naturnahen Wuchs zulassen und die Bäume in Balance bringen, ist eine große Kunst. Bis heute wird bei diesen Obstsorten mit der Natur gearbeitet, ohne sie zu unterwerfen. Man lässt die Birnbäume am besten nach dem ‚Bauplan‘ der Natur wachsen.
Jede Sorte hat Ihr typisch markantes Aussehen – und die Tettnanger Mostbirne wird gerne mit einem Apfel verwechselt.
Mit ihrem Luftraum und den Nistmöglichkeiten bieten diese Wildbäume Platz für besonders schützenswerte Vogelarten. Zugvögel, wie der Halsbandschnäpper, haben sich auf diese halboffenen Landschaften spezialisiert. Hier befreien sie die Bäume von Schädlingen, wie Larven, Raupen und Insekten, weil sie als Eiweißquelle hervorragend für die Aufzucht der eigenen Brut geeignet sind. Blühende Pflanzen von Frühjahr bis Herbst sind Nahrungsquelle für Bienen und für weitere Nützlinge, welche Schädlinge abhalten.